Glauben Sie, dass die Kernfusion unser Weg zu grenzenlos sauberer, grüner Energie ist?
Von Jim Bolton
Die erste kommerzielle Kernspaltungsanlage wurde 1956 im Vereinigten Königreich in Betrieb genommen. Inzwischen wissen wir wahrscheinlich alle, dass bei der Kernspaltung ein schweres, instabiles Atom in zwei leichtere Kerne gespalten wird.
Bei diesem Prozess entsteht die Energie, die wir für die Stromerzeugung benötigen. Wir wissen auch, dass diese Kernspaltung eine enorme Menge radioaktiver Abfälle hinterlässt, die extrem langlebig und tückisch zu entsorgen sind. Es kann auch zu Kernschmelzen und Katastrophen kommen, wie wir in Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) selbst gesehen haben.
Während alle kommerziell betriebenen Kernkraftwerke durch Kernspaltung betrieben werden, befindet sich eine andere Methode zum Betrieb von Kernreaktoren noch im Versuchsstadium.
Dabei handelt es sich um den Prozess der Kernfusion.
In Nuklearkreisen wird seit den 1970er Jahren immer wieder gewitzelt, dass die Kernfusion, egal in welchem Jahr, immer noch «vierzig Jahre entfernt» sei. Nun, das mag einmal wahr gewesen sein, aber mit all den Fortschritten, die in letzter Zeit bei den Versuchsreaktoren gemacht wurden, wird die Kernfusion als unsere zukünftige Hauptenergiequelle wahrscheinlich im Jahr 2030 erreicht werden.
Die Kernfusion ist der Prozess, der die Sonne und alle anderen Sterne mit Energie versorgt. Wenn diese Kernfusionsreaktion auf der Erde nachgebildet werden könnte, würde sie uns grenzenlos mit sauberer, sicherer und erschwinglicher Energie versorgen – ausreichend, um den ständig steigenden Strombedarf der Welt zu decken.
Warum ist die Kernfusion so schwierig zu verwirklichen?
Die Kernfusion ist der Prozess, bei dem sich zwei leichte Atomkerne zu einem einzigen schwereren verbinden und dabei gewaltige Mengen an Energie freisetzen. Die Fusionsreaktionen finden in einem Materiezustand statt, der Plasma genannt wird, ein heisses, geladenes Gas aus positiven und frei beweglichen Elektronen, das einzigartige Eigenschaften aufweist, die sich von denen fester, flüssiger und gasförmiger Stoffe unterscheiden.
Um auf der Sonne zu fusionieren, müssen die Atomkerne bei sehr hohen Temperaturen miteinander kollidieren, damit sie ihre gegenseitige elektrische Abstossung überwinden können. Sobald die Kerne dies geschafft haben und sich in unmittelbarer Nähe zueinander befinden, können sie aufgrund der Anziehungskraft miteinander verschmelzen. Damit dies geschehen kann, müssen die Kerne jedoch auf einen kleinen Raum beschränkt sein, um die Wahrscheinlichkeit einer Kollision zu erhöhen.
Auf der Erde herrscht nicht der extreme Druck der Sonne, der durch ihre enorme Schwerkraft erzeugt wird; daher ist auf der Erde eine viel höhere Temperatur erforderlich, damit die Reaktion stattfinden kann. Am wichtigsten ist, dass ein ausreichender Einschluss vorhanden sein muss, um das Plasma zu halten und die Fusion lange genug aufrechtzuerhalten, damit ein Netto-Energiegewinn erzielt wird, d. h. mehr Fusionsenergie erzeugt wird als zum Aufheizen des Plasmas verbraucht wird. Als Brennstoff für die Fusionskraftwerke wird eine Mischung aus Deuterium und Tritium (Wasserstoffisotope) verwendet.
Wie weit sind wir mit der Kernfusion?
Seit dem Versuch des Menschen, eine kontrollierte Kernfusion zu erzeugen, besteht das wichtigste – und immer noch ungelöste – Problem darin, eine ausreichend hohe Temperatur zu erzeugen, um den D-T-Brennstoff zu fusionieren, ihn einzuschliessen und lange genug aufrechtzuerhalten, um eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion (Zündung) auszulösen.
Es gibt eine Vielzahl von internationalen Forschungszentren, die zusammenarbeiten und experimentelle Fusionsreaktoren errichtet haben. Auf diese Weise werden die extrem hohen Kosten geteilt und die Ergebnisse verglichen.
Ein solcher Fusionsreaktor, an dem 35 Nationen mitarbeiten, wird in Cadarache in Südfrankreich gebaut. Es handelt sich um die weltweit grösste Magnetfusionsanlage (Tokamak), mit der die Machbarkeit der Fusion als künftige grosstechnische, kohlenstofffreie Energiequelle getestet werden soll. Dieser Internationale Thermonukleare Versuchsreaktor (ITER) ist seit 2010 in Betrieb, und das erste Plasma soll bis Dezember 2025 erzeugt werden.
Die britische Atomenergiebehörde und das kanadische Unternehmen General Fusion haben Pläne zum Bau und Betrieb einer Fusions-Demonstrationsanlage in Oxfordshire angekündigt. Der Baubeginn ist für das nächste Jahr vorgesehen.
Obwohl in Experimenten routinemässig Bedingungen erreicht werden, die denen eines Fusionsreaktors sehr nahekommen, sind Verbesserungen beim Einschluss und der Stabilität des Plasmas erforderlich. Bislang wurde in keinem Experiment ein Nettogewinn an Fusionsenergie nachgewiesen.
Was sind die Vorteile der Fusion gegenüber der Kernspaltung?
Bei der Fusion werden weder Kohlendioxid noch andere Treibhausgase in die Atmosphäre freigesetzt. Es entsteht Helium – ein inertes, ungiftiges Gas, das auf natürliche Weise ins Weltall entweicht.
Bei der kontrollierten Verschmelzung von Atomen wird fast vier Millionen Mal mehr Energie freigesetzt als bei einer chemischen Reaktion wie der Verbrennung fossiler Brennstoffe und vier Mal so viel Energie wie bei einer Kernspaltungsreaktion (bei gleicher Masse).
Bei einer Fusionsanlage besteht kein Risiko einer Kernschmelze oder einer nuklearen Katastrophe wie in Fukushima. Sollte es in irgendeiner Phase zu einer Störung kommen, kühlt sich das Plasma sofort ab und die Reaktion stoppt. Die im Behälter befindliche Brennstoffmenge reicht jeweils nur für einige Sekunden. Es besteht keine Gefahr einer Kettenreaktion.
Fusionsbrennstoffe sind leicht verfügbar und unerschöpflich. Deuterium wird einfach aus Wasser destilliert, und das chemische Verhalten von Tritium kann ebenso wie das des stabilen Wasserstoffs in gasförmigem Zustand oder, häufiger, in Wasser vorliegen. In Anbetracht der chemischen Eigenschaften von Tritium und der Tatsache, dass etwa zwei Drittel der menschlichen Körpermasse aus Wasser bestehen, ist Tritium im menschlichen Körper sehr häufig anzutreffen. (Tritium verteilt sich im gesamten Körperwasser und wird auf die gleiche Weise wie Wasser ausgeschieden, nämlich über Urin und Schweiss). Es wird bereits in verschiedenen kommerziellen Produkten verwendet, vor allem in hochwertigen Batterieladegeräten für Elektrofahrzeuge (EVs).
Kernfusionsreaktoren erzeugen keinen hochaktiven, langlebigen Atommüll.
Bei der Kernfusion wird kein Uran oder Plutonium verwendet, und es fallen keine angereicherten Materialien an, die zur Herstellung von Kernwaffen verwendet werden könnten.
Sogenannte «erneuerbare» Energieträger (d. h. Sonnen-, Wind- und Wasserkraft) können langfristig nicht garantiert werden und sind nicht in der Lage, in langen Perioden mit unzureichendem Sonnen- oder Windangebot Grundlaststrom zu erzeugen, während Wasserkraftwerke in langen Dürreperioden keine ausreichende Grundlast erzeugen können.
Weltenergieausblick und steigende Nachfrage nach Elektrizität
Elektrizität steht an der Spitze moderner Volkswirtschaften und stellt einen wachsenden Anteil der Energiedienstleistungen bereit. Die Nachfrage nach Elektrizität wird aufgrund höherer Haushaltseinkommen, der Elektrifizierung des Verkehrs und der Heizung sowie der wachsenden Nachfrage nach digital vernetzten Geräten weiter steigen. Dies ist einer der Hauptgründe dafür, dass die weltweiten CO2-Emissionen des Stromsektors inzwischen Rekordhöhen erreichen.
Kernfusionsreaktoren sollten für die Zukunft nicht in Betracht gezogen werden
Auf der anderen Seite des Zauns erzürnt die blosse Erwähnung der Worte «Kernkraft» oder «Atom» eine grosse Zahl von Menschen, die sich an die frühen Jahre des «Lebens unter der Atomwolke» zurückerinnern, als Anti-Atom-Demos und andere Formen des Protests zum Alltag gehörten. Nuklear und atomar werden in ihren Köpfen für immer mit der Atombombe verbunden sein.
Viele Organisationen sind auch der Meinung, dass die Vergangenheit in der Vergangenheit bleiben sollte. Eine der bekanntesten dieser Organisationen, die sich gegen jegliche Form der Kernenergie aussprechen, ist Greenpeace. Wenn Sie die Ideologie von Greenpeace über die Jahre hinweg verfolgt haben, werden Sie nicht überrascht sein, einige ihrer Ansichten zur Kernenergiedebatte zu lesen. Greenpeace US feiert dieses Jahr sein 50-jähriges Bestehen, und hier ein Zitat aus ihrem jüngsten Bulletin:
«Kernenergie hat keinen Platz in einer sicheren, sauberen und nachhaltigen Zukunft. Kernenergie ist teuer und gefährlich. Nur weil die nukleare Verschmutzung unsichtbar ist, heisst das nicht, dass sie sauber ist.
Erneuerbare Energie ist besser für die Umwelt und die Wirtschaft und birgt nicht das Risiko einer Kernschmelze. Die öffentlichkeitswirksamen Katastrophen in Tschernobyl und Fukushima haben das Bewusstsein für die Gefahren der Kernkraft geschärft. Die Risiken der Kernenergie überwiegen bei weitem die möglichen Vorteile. Das Atomzeitalter ist vorbei. Das Zeitalter der erneuerbaren Energien hat begonnen.» «SAG NEIN ZUR ATOMKRAFT!»
Es liegt nun an Ihnen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Auf welcher Seite des Zauns sitzen Sie?
Jim Bolton
Quellen und weitere Informationen:
ITER: International Thermonuclear Experimental Research
FLF.Co.UK : First Light Fusion Co.UK
UKAEA: United Kingdom Atomic Energy Authority
IAEA: International Atomic Energy Agency
Greenpeace
HPS: Health Physics Society, (Specialists in Radiation Safety)
WEA: World Energy Association
JET: Joint European Torus
Tokamak Energy.Co.UK
Wie immer könnt ihr diesen Artikel direkt kommentieren, oder ein e-Mail an redaktion@luessi.ch senden.